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Hallo Zusammen!!
Nun, da ich gerade mal so schön am Schreiben bin, geht es hier gleich weiter mit den Ereignissen der letzten sage und schreibe sechs Monate. Das letzte halbe Jahr waren wir (und ich bin es noch) in der Stadt mit den vier Jahreszeiten pro Tag: Melbourne.

Nachdem wir mit Tom, dem WWOOFer vom Food Forest zusammen nach Melbourne gekommen waren, mussten wir uns erstmal wieder in dem Gebilde STADT zurecht finden. Nach über sechs Monaten Landleben gar nicht so einfach, vor allem, weil wir gleichzeitig noch eine Wohnung, Geld, Freunde und Permakultur finden wollten. Also, der Reihe nach…
Eine Wohnung fanden wir nach über 12 Besichtigungsterminen in vier Wochen. Darunter waren Häuser, bei denen es im Wohnzimmer reinregnete und Häuser, bei denen wir für ein Zimmer pro Person und Woche 200 Dollar bezahlt hätten… gar nicht so einfach, die Immobiliensuche hier. Ok, wir wollten auch einen Garten haben und nicht nur mit 19jährigen Deutschen zusammen wohnen, wir waren also etwas wählerisch. 😉 Auf den Tipp einer Freundin hin suchte ich auch mal bei der Airbnb, wo man Zimmer für z.B. Wochenendetrips finden kann. Eines der Häuser im Stadtteil Brunswick gefiel uns und ich fragte den Vermieter Kim, ob wir auch so naja naja 5 Monate bleiben könnten. Nach einem Kaffeeplausch bei ihm im riesigen (!) Gemüsegarten stimmte bei Matze, Kim und mir das Bauchgefühl und wir zogen nach vier Wochen endlich aus dem Hostel aus und bei Kim ein. Ein weiterer ständiger Mitbewohner ist Ryo, ein Koch aus Japan und Ren, Ryo‘s kleiner Hund. Und endlich hatten wir einen Garten, in dem ich mich so richtig auslassen konnte. Große Freude!

Ren und ich in der Hängematte
Matze fand nach einer Woche bereits Arbeit bei einer Architekturfirma, die ihr Bürogebäude ausbauen wollte und dafür einen Zimmermann und Handwerker suchte. Ich beneide ihn immer, wenn er so schnell Arbeit findet. Ich tue mich schwer mit Arbeit finden hier (bin aber auch wählerisch), habe aber schon bei einer Garten-/Landschaftsbau-Firma ausgeholfen und gärtnere für einige Privatkunden. Einmal half ich auf dem Messestand von DER Permakulturfirma in Melbourne, VEG – Very Edible Gardens. VEG bietet Permakulturdesign und –umsetzung neben Büchern und Seminaren an. Hier konnte ich den Messebesuchern einen mobilen Obsthain mit integriertem Hühnerauslauf erklären und vielen Leuten Mut machen, das sogar Gemüseanbau auf dem Balkon möglich ist.
Schaugewächshaus mit Regentonnen – Greenhouse with rainwater tanks
Hochbeete vor dem mobilen Obsthain mit integriertem Hühnerauslauf – Raised beds in front of mobile orchard with integrated chicken run
Wicking-Beete und mehr Hochbeete – Wicking bed and more raised beds
Freunde finden dauerte eine Weile, auch weil Sarah, die wir noch aus Perth kannten, tief in ihre Arbeit versunken war und wir uns kaum sahen. Aber Leute kennen lernen ging dann besonders bei mir einher mit dem letzten Punkt: Permakultur! Schon nach zwei Wochen in Melbourne hatte ich zwei Gemeinschaftsgärten in Melbourne erkundet, den Garten „VegOut“ in St. Kilda und den Gemeinschaftsgarten der Collingwood Childrens Farm und fing an, bei C.E.R.E.S. zu arbeiten.
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C.E.R.E.S. steht für „Centre for Education and Research in Environmental Strategies“ und wurde in den achtziger Jahren auf einer damaligen Müllkippe gegründet mit der Vision, einen Platz für Gemeinschaftsprojekte, Jobs und Gärten zu schaffen. Knapp 30 Jahre später ist aus der Müllkippe eine Oase geworden mit Märkten, Läden, Cafés, Teichen, Gemeinschaftsgärten, Spielplätzen, Hühnern und vielem mehr. Ich hatte mich gleich zu Beginn bei der Pflanzenvermehrung der Permakultur-Baumschule von C.E.R.E.S. als Ehrenamtliche beworben und wurde auch genommen. 😉 Hier arbeitete ich ein- bis dreimal die Woche mit Meg und Olivia zusammen, die die Volontäre koordinieren und Neulinge einweisen. Hier lernte ich alles von Samen aussäen, Jungpflanzen vereinzeln, Pflanzen vermehren durch Stecklinge und Wurzelstecklinge und was es alles für faszinierende Gemüsevarianten in Australien gibt. So säten wir im australischen Frühjahr ganze 30 verschiedene Sorten Tomaten aus! Außer den handwerklichen Fähigkeiten konnte ich hier auch ein System an gut durchdachten Arbeitsabläufen beobachten, denn trotz dass viele Laien und Neulinge hier arbeiten, kommt es zu wenigen Fehlern und alles ist schnell erklärt. Außerdem werden natürlich nur freie Bio-Samensorten verwendet und die Jungpflanzen, die beim Vereinzeln aus den Töpfen fliegen, werden den Hühnern nebenan als Mikrogreens aufgetischt. Ein weiterer, großartiger Vorteil meiner Arbeit hier ist, dass die Pflanzen die nicht in der Baumschule verkauft werden können, von den Freiwilligen mit nach Hause genommen werden können. Das hat den Garten von unserem WG-Haus extrem bereichert und wir haben es so immerhin auf 13 verschiedene Sorten Tomaten geschafft! 😀
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Und damit kommen wir zu einem Herzstück meines bisherigen Schaffens in Brunswick a.k.a Melbourne… der Garten. Der Name unseres Stadtteils Brunswick kommt von den ehemalig deutschen Einwanderen, die den Ort Braunschweig nannten. Es gibt hier übrigens auch Stadtteile namens Coburg, Altona und Heidelberg, sind alles unsere Nachbarn! In den 50er Jahren war Brunswick aber ausschließlich bewohnt von Griechen und Italienern, was uns den Segen von extrem guten Läden in unserer Umgebung verschafft hat. Heute wohnen hier auch viele Libanesen, Türken und Afghanen, was die Palette an Köstlichkeiten nur erweitert! Besonders die griechischen und itailienischen Einwanderer pflegten vollgepackte Gemüsegärten, denn viele ihrer Standardgemüsesorten gab es damals in Australien einfach noch nicht. So brachten sie den „englischen“ Australiern z.B. Brokkoli, Endivien und Auberginen mit. Viele Häuser in Brunswick haben also Gärten… und ich denke in unserer Straße haben wir den Größten! 😀

Wir haben auch die größten Sonnenblumen!
Kim nutze den Garten schon seit Jahren und als wir einzogen, wuchsen gerade Dicken Bohnen, Rhabarber und viel Mangold. Ich schleppte ja schon eine Weile jede Menge Samentüten mit mir rum und so kamen bald verschiedenste Salate, Radieschen und Möhren dazu. Als wir uns Ende August langsam dem australischen Frühjahr näherten, legten Matze und ich mehrere No-Dig-Kartoffelbeete an, also neue Beete ohne umgraben. Dazu wird einfach Zeitung auf die Wiese gelegt, die Saatkartoffeln im richtigen Abstand darauf, worauf dann abwechselnde Schichten aus Stroh und Mist folgen. Klappte super und auf diese Art wachsen inzwischen sechs verschiedene Sorten Kartoffeln bei uns. Auch durch meine Tätigkeit bei C.E.R.E.S. und – zum Verhängnis meiner Geldbörse – dessen fantastischer Permakultur-Baumschule, kamen viele neue Pflanzen und Samen dazu, so dass wir jetzt gelbe Paprikas, violette Erbsen, weiße Auberginen, gelbe UFO-Zucchinies, verschiedene Sorten Zuckermais, eine Minzsammlung, verschiedene Chillies, monstermäßige Sonnenblumen und mindestens drei verschiedene Sorten Gurken haben. Bis auf Dinge wie Nudeln, Öl, Mehl und Zucker müssen wir eigentlich nichts einkaufen und es ist immer frisch und lecker!
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Und: Ich nutzte die Tatsache, dass wir nun eine „eigene“ Küche hatten, so richtig aus. Ich fermentiere zur Zeit Kombucha, Wasserkefir und Ginger Ale, was für all die frisch-spritzigen Getränke in diesen inzwischen warmen Sommertagen bei uns sorgt. Außerdem pflegen wir noch eine Sauerteig-„Mutter“, eine Mischung aus dem Sauerteig von Bee in West Australien und dem Sauerteig einer Freundin. Mein Freund Hermann aus Deutschland gab mir letztes Jahr auch noch ein weiteres Haustier: Einen Hermann-Freundschaftskuchen 😀 Ich habe ihn aber vor einiger Zeit eingeschläfert, da er extrem hungrig war und Sommer hier irgendwie nicht die richtige Jahreszeit für einen Kuchen pro Woche ist. Wassermelonen passen eher… Wir machen unser eigenes Sauerkraut, kochen Kumquat- und Pflaumenmarmelade, stellen Unkrautpesto her, trocknen eigene Käutermischungen aus dem Garten und ich experimentiere mit Rohkost-Kuchen. Da man hier auch unpasteurisierte und unhomogenisierte Milch kaufen kann (die aber als Bademilch vermarktet werde muss und auf keinen Fall für den menschlichen Verkehr geeignet ist…), machen wir auch pro Woche zwei Liter Joghurt und haben uns auch schon am Herstellen von Ricotta und Mozarella versucht. Fazit: Käse machen ist ganz schön kompliziert… Achja, und Honig aus dem Garten haben wir inzwischen auch schon geerntet. Aber dazu später mehr.
Neben diesen ganzen Hausfrauentätigkeiten habe ich mit Matze zusammen auch immer mal Ausflüge mit Freunden zusammen unternommen. So waren wir zum Beispiel mit Synti in einem riesigen Naturschutzgebiet östlich der Stadt, wo wir verlassene aber restaurierte Höfe und Plantagen der ersten europäischen Siedler bestaunten, barfuss Flüsse durchquerten, leckeres „Unkraut“ sammelten und unseren ersten Echidna sahen, der ganz unscheu um uns herumschnuffelte und Ameisen schlürfte.
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Ein anderes Mal haben wir uns mit Haithum und Alejandra zusammen einer Führung durch ganze fünf Gemeinschaftsgärten im Umkreis von 5km in Brunswick angeschlossen. Die Führung machte die vielen Facetten von Gemeinschaftsgärten sichtbar und war extrem inspirierend. Außerdem konnten wir uns hier verschiedene Systeme von Kommunikation und Kompostierung in den unterschiedlichen Gärten ansehen.
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Ein weiterer Höhepunkt des letzten Jahres war auch der Besuch meiner Eltern im Oktober. Obwohl sie sich auf einen freundlichen Frühling gefreut hatten, regnete es leider eine Woche lang und Melbourne machte seinem Ruf für unvorhersagbares Wetter alle Ehre. Zum Einstieg in die neue Welt machten wir mit ihnen eine Stadtführung zu Fuß, wobei der Fokus unseres Leiters auf der Entstehungsgeschichte Melbourne’s und der Straßenkunstszene lag. Auch Matze und ich lernten in den drei Stunden noch so einiges dazu. Dann kamen wir durch Zufall in den wirklich innerstädtischen Gemeinschaftsgarten „Pop Up Patch“ und staunten, wie viel Essen man in zwei Kubikmeter Raum anbauen kann. Wir erkundeten zusammen das Einwanderungsmuseum von Victoria, was dankenswerterweise keinen Hehl aus dem Alltagsrassismus vieler Australier machte. Natürlich zeigten wir meinen Eltern die Sehenswürdigkeiten von C.E.R.E.S., das „Zahl-nach-Gefühl“-Restaurant „Lentils as Anything“ und die Sehenswürdigkeit unseres Domizils: Den Garten 😉 Im Botanischen Garten von Melbourne schlossen wir uns dem von einem Aboriginal geleiteten Heritage Walk an und erforschten den Farndschungel des Parks. Als das Wetter besser wurde, liehen wir uns ein Auto aus und erkundeten zusammen die Mornington Peninsula, die südöstlich von Melbourne gelegene Halbinsel entlang der Port Phillip Bay. Ein Höhepunkt hier war der Garten von Heronswood, der dem landesweiten Gartenverband „Digger’s Club“ gehört. Der Digger’s Club erhält und züchtet Traditionssaatgut und setzt sich auch politisch für freie Sorten und gegen gentechnisch verändertes, firmeneigenes Saatgut ein. In Heronswood kann man sehen, wie schön ein Gemüsegarten wirklich gestaltet sein kann, im Restaurant Frisches aus dem Garten essen und dann satt den fantastische Blick über die Bucht genießen. Am nächsten Tag fuhren wir in die Weinregion Yarra Valley nordöstlich von Melbourne zum Healesville Sanctuary. Hier gab es dann die ersten Koalas für meine Eltern und wir konnten Wombats schnarchen, Tasmanischen Teufeln kuscheln und Dingos joggen sehen. Außerdem gab es noch eine spektakuläre Flugshow zu bewundern. Bei dieser Gelegenheit betonten die Tierpfleger auch die Umweltbotschaft des Parkes, nämlich, das zum Schutz der australischen Wälder – und damit der Vögel – jeder recyceltes Klopapier bevorzugen sollte, welches nicht aus frisch gefällten 400 Jahre alten Bäumen hergestellt wird. Nach unserer ereignisreichen Woche zu viert setzten sich meine Eltern auf die Fähre nach Tasmanien und schauten sich eine Woche den siebten Bundesstaat Australien‘s an. Als sie wieder in Melbourne waren, erkundeten wir noch zusammen Melbourne‘s Strände. Als sie sich gerade so richtig an die 10stündige Zeitverschiebung, die Verdrehung von Nord und Süd und all die Geisterfahrer hier gewöhnt hatten, mussten sie auch schon wieder in den Flieger steigen und die ganze Verwirrung ging von vorn los 😉
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Neben all dem machte ich auch noch einen 14wöchigen Kurs bei C.E.R.E.S. mit, der mich zum kompetenten Stadtbauern ausbilden sollte. Der Kurs hieß „The Complete Urban Farmer“ und ich habe zu diesem Kurs einen eigenen Artikel geschrieben. Im Ergebnis dieses Kurses kamen zu unserer kleinen Stadtfarm auch noch ein Wurmfarm, eine Pilzzucht und ein fachgerechter Komposthaufen hinzu. Und Bienen! Hermann kaufte sich nämlich einen Bienenstock samt Bienen aus zweiter Hand und stellte ihn dann bei uns ab, da er keinen eigenen Garten hat. Seitdem sind die Bienen ein Highlight meiner Gartentouren für Freunde und wir haben letzte Woche zum ersten Mal Honig geerntet!
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Es gäbe noch so viel mehr zu erzählen hier, aber ich muss mir ja auch noch ein paar Geschichten aufheben, die ich euch ein anderes Mal erzählen kann. Jetzt jedenfalls möchte ich schließen damit, das in Melbourne permakulturell einiges läuft und ich noch lange nicht alles davon erkundet habe. Nach Weihnachten sind Kim, Matze und ich erstmal mit dem Schiff nach Tasmanien gefahren. Aber auch das ist eine andere Geschichte…
Alles Liebe,
Eure Julia