Meine Lieben,
da ihr jetzt nun gerade fast up to date mit mir seid, will ich diesen Blogeintrag nutzen, um euch über die Wochen seit Nepal zu berichten und damit die Lücke zum jetzt zu schließen.
Als wir Nepal schweren Herzens über den Grenzübergang bei Lumbini verließen, hatten wir die Tickets für meine längste Zugfahrt ever schon in der Tasche. Wir wollten nach Goa, und zwar so direkt wie möglich, ohne zu fliegen. In der unscheinbar-hässlichen und eindeutig wieder indischen Stadt Gorakhpur setzen wir uns am 26. Dezember mittags in den ersten Zug und kamen am nächsten Morgen in Delhi an… naja, zumindest fast, denn wir verpassten denn Ausstieg (es gibt weder Schaffner, Durchsagen oder Anzeigetafeln und nicht immer lesbare Tafeln am Bahnsteig) um zwei Stunden und nur ein netter Lehrer auf dem Weg zur Arbeit, der uns nach unserem Ziel fragte, klärte uns auf, dass wir schon 100 km zu weit gefahren sind. Auf den Schreck stiegen wir erstmal zusammen aus, bekamen einen Tee, Kekse und die Rikschaw zum Busbahnhof spendiert und saßen schneller als wir den Namen des Ortes aussprechen konnten, wieder in einem Bus zurück nach Dehli. War aber alles halb so wild, denn wir hatten in weiser Vorraussicht immer mindestens zehn Stunden Puffer zwischen unseren Anschlusszügen gebucht… immerhin ist das hier Indien, da weiß man nie 😉 In Delhi angekommen gab’s erstmal spitzenmäßigen Brunch, bevor wir uns dann zu einem der zig Bahnhöfe durchfragten. Delhi war bei meinem dritten Besuch so kalt wie nie und die 45° C vom Mai 2011 konnte ich mir bei den Menschen in Schals und Mützen kaum noch vorstellen. Abends um neun ging es dann mit dem zweiten Zug weiter nach Mumbai… ganze 1 ½ Tage und zwei Nächte im selben Zug. Wir waren in der Sleeper Klasse, hatten jeder sein eigenes Bett bei billigen Tickets und an jeder Haltestelle kamen unzählige Verkäufer und Verkäuferinnen vorbei, die alles von Guaven, Orangen, Tomaten, Gurken, Kerbel, Erdnüssen, Samosas, Reis mit Gemüse, Tee und Kaffee über Schmuck, Schlüsselanhängern, Puppen und magische Würfel bis hin zum Auskehren des mit Teebechern, Erdnussschalen und Servietten gesprenkelten Abteils anboten.
Wir fuhren aus der Kaltfront um Delhi in die Wüsten Rajasthans, in denen durch die Wunder der Irrigation trotzdem noch Baumwolle wächst… nicht mehr lange, schätze ich 😦 Als wir beide schon nicht mehr sitzen konnten, kamen wir endlich vor Sonnenaufgang in Mumbai an. Nach zwei Tee und dem Sonnenaufgang fuhren wir zu Mumbai’s historisch-riesigem Hauptbahnhof, der Victoria Station, um unser Gepäck abzugeben und unbeschwert die Megametropole zu erkunden. In Mumbai hatte sich seit meinem letzten Besuch 2007 einiges getan, es gibt jetzt eine riesige Hängebrücke über die Meeresbucht und wie in anscheinend allen größeren Städten werden überall Überführungen und Flyover gebaut, in ehemaligen Slumsiedlungen wurden 20-geschossige Häuser gebaut und die Luxushotels reihen sich dicht an dicht. Die barfüßigen Bettler davor scheinen für alle Beteiligten kein allzugroßer Kontrast zu sein. Wir liefen durch die Viertel und entlang der Promenade am Indischen Ozean (Matze’s erstes Mal), trafen weitsichtige Bettler die uns aus ihrem aufregenden Leben in Goa und ihren irren Landesgenossen erzählten, schauten uns wie alle Touristen das Gate of India und das wieder sanierte, nicht mehr bombengeschädigte Hotel „Taj Mahal“ direkt daneben an, warem im selben Restaurant essen, in dem ich auch schon 2007 war, waren in einer Galerie mit temporären Ausstellung moderner indische Künstler, fanden durch Zufall einen Organic Shop ganz versteckt in einem Hinterhaus, waren in einem Hochsicherheits-Kino um Sherlock Holmes zu sehen und setzten uns anschließend in den dritten Zug, der uns gute 14 Stunden später am 30. Dezember endlich in Goa ausspuckte.
Wir hatten 3.500 km in 4 Tagen und halb Indien hinter uns gebracht und waren von den nepalesischen Hochgebirge direkt ins tropische Portugal Indien‘s gefahren. Puh! Fazit: Ich liebe Zugfahren in Indien! Besondern weil man sich dabei die Hupen, die Menschenmassen, den Staub und Müll erspart… also einen Großteil der anstrengenderen Seite Indien’s 😉
In Goa angekommen, waren wir wieder raus aus Indien. Das hier ist anders. Plötzlich gibt es statt Hindutempeln Kapellen, statt Krishna Jesus, statt Gaurav Pratap heißen die Menschen hier Josef Gonzalves, in 50 m Strandabstand nimmt die Dichte halbnichtbekleideter weißer Menschen exponentiell zu und statt ästhetisch fragwürdiger Betonwürfel stehen hier süße portugiesische Villchen. Und trotzdem sehen hier die meisten verdammt indisch aus 😀 Goa ist anders, und alle wissen es, besonders die jungen Inder, die sich hier nach einem Jahr durcharbeiten mal für vier Tage entspannen können und die Urlaubsfotos danach lieber nicht ihren Eltern und Verwandten zeigen wollen („They would kill me… literally“ Zitat unseres indischen Zimmernachbarn). Um nicht ganz im Megatrubel zu sein, entschieden wir uns für Anjuna, das alte Hippiedorf, das aber nicht mehr das ist, was es mal gewesen sein soll. Jetzt gibt es auch hier wie überall an Goa’s Stränden unzählige Shops, Restaurants, Bars, Yogacenter, Massagestudios, Schönheitssalons, Buchläden, Internetcafe’s, Haschischdealer, Kokospalmen und Tattoostudios, nur vielleicht ein paar weniger als in den Haupttouristenorten.
Silvester feierten wir ein bisschen mit unseren indischen und französischen Zimmernachbarn, bevor wir uns zum Jahreswechsel an den Strand setzten, um das Feuerwerk, die Sterne und das neue Jahr zu begrüßen. Die Goa-Party am Strand fiel leider aus und so war es ein eher gemütliches Silvester.
Wir hatten ein kleines Zimmer in einer fast nicht als solchen zu erkennenden Lodge in der vierten Reihe hinter der Straße gemietet, denn das war das einzige, das nicht wegen Silvester das zehnfache als normal kostete und auch eines der wenigen, das überhaupt noch Zimmer hatte. Die Familie wohnte gleich nebenan, ihr Hund sonnte sich regelmäßig auf unseren Füßen und nach einer Weile hatten wir auch eine kleine Küche für uns. Die ersten Woche im neuen Jahr waren wir deshald hauptsächlich faul… ich habe so ziemlich das komplette Permaculture Designer’s Manual am Netbook durchgelesen (warum erzähl ich später), wir frühstückten und kochten zu Hause, schrieben Blog und lange überfällige Mails, machten Yoga im Flur, durchstöberten die Buchläden nach Reiseführern und anderen interessanten Sachen und lasen, was wir fanden, erlebten und überlebten den berühmten Mittwochs(Floh)Markt, besuchten meine Bekannten Robert und Kozue in ihrem Raw Food Restaurant im benachbarten Vagator und erkundeten Mapusa, die Hauptstadt Nordgoa‘s. Ansonten erwanderten wir den Strand Anjuna’s und das Hinterland von Anjuna und Vagator. Ach ja, und zwei Strandtage gabs auch noch. Pure Faulheit eben 😀
Nach einer Woche hatte die Faulheit ausgediehnt und wir brauchten ein Dosis Action und Kultur. Also rein in den nächsten Bus und auf ins Hinterland. Über Mapusa und Panjim, der Hauptstadt Goa’s, fuhren wir nach Old Goa, die ehemalige Hauptstadt der ehemaligen portugiesischen Kolonie Goa und zu seiner Zeit (16. Jh.) die größte bekannte Stadt der Welt, noch vor Rom und Lissabon, auch das „Rom Asiens“ genannt, heute Weltkulturerbe. In Old Goa steht die größte Kirche Asiens, umgeben von anderen, immer noch ziemlich großen Kirchen und Klosterresten und überhaupt… Kirchen… in welchem Land war ich nochmal?!
Anschließend waren wir einen Tag in Margao, der Hauptstadt Südgoa’s mit ihren schönen Parks, ramschig-süßen Buchläden und einem ganz besonderen Garten mit einem noch besondereren Gärtner! Margao war eine Zwischenstation auf dem Weg zu unserem eigentlichen Ziel: Palolem. In Palolem war ich 2007 auch schon einmal, allerdings im Monsun und der off-season, so dass ich den Ort jetzt fast nicht wiedererkannte. Palolem hat einen riesigen Sandstrand, noch mehr Restaurants, noch mehr Yoga, noch mehr Kokospalmen und Strandhütten, aber weniger Haschischdealer… this is a family place 😉 In Palolem verbrachten wir ein Wochenende, in dem ich bei einem zweitägigen Kurs von Kate Magic einiges mehr über Raw Food lernte (und machte), Nathalie, Panta und ihren aristokratischen Hund von Bhakti Kutir kennen lernte und einen Höhenflug von unseren selbstgemachten Raw-Chocolate-Kugeln hatte *hui*.
Genau Mitte Januar verabschiedeten wir uns endgültig von unserer Strandhütte, dem weißen Sand und dem Meeresrauschen und fuhren zurück nach Panjim. Hier schauten wir uns die zuckersüße Kirche der Unbefleckten Maria an, kühlten uns in den nun wirklich portugiesischen Parks und tranken zuckersüßen Kaffee. Den nächsten Tag verbrachten wir blogschreibend und lesend, um abends den Nachtbus nach Bangalore zu nehmen, der IT-Hauptstadt Indiens und mit Abstand die reichste Stadt, die ich in diesem Land bisher gesehen habe. Früh angekommen und keine Zeit verschwendet, direkt in den nächsten Bus nach Chennai gesetzt, der Hauptstadt Tamil Nadu’s am Golf von Bengalen. Von Küste zu Küste in einem Tag.
In Chennai überkam uns erstmal der Stadtshock… 6 Millionen Menschen zusammen, soviel hatten wir seit Mumbai nicht mehr erlebt. Am 19. Januar erkundeten wir nach einem gemütlichen Morgen eines der vielen Stadtzentren zu Fuß und fragten uns bis zum Strand, dem größten Strand der Welt nach der Copa Cabana, durch. Verhältnis von Sand, Menschen, Verkaufständen und Plastik ungefähr 2:1:1:2! Schön ist was anderes, besonders wenn direkt neben dem Strand die Kloake… ähm ich meine, der Hauptfluss durch Chennai ins Meer mündet. Die meisten Flüsse, die ich bis jetzt in den großen Städten Indien’s gesehen habe, sind bestimmt nicht nur tot, sondern auch tödlich. Auf dem Rückweg spricht uns ein Rikschawfahrer aus Sri Lanka an und bietet uns an, uns kostenlos zu einigen Sehenswürdigkeiten Chennai’s zu fahren, wir müssten dafür nur danach in ein zwei Läden vorbeischauen, so tun als würden wir was kaufen wollen, was wir aber nicht müssten und er würde dafür von den Läden dann Benzingutscheine bekommen. Give-and-take-policy meinte er, klingt fair meinten wir! So offen und lustig hat mir das noch kein Rikschawfahrer gesagt, auch wenn ich nicht das erste Mal so eine Tour mitmachte. Also fuhr er uns zur einzigen Kirche auf dem Grab eines Apostels in Asien (der Petersdom und Santiago de Compostela sind die beiden anderen weltweit), der Kirche des Apostels Thomas, der predigend bis nach Südindien kam und der ein nicht in der Bibel enthaltenes Evangelium geschrieben hat. Die Kirche war unglaublich bunt (auch weil gerade eine Hochzeit gefeiert wurde) und informativer als alle Kirchen, in denen ich bis jetzt war. Wer hätte das gedacht?! Danach fuhren wir zu einer riesigen Shiva-Tempelanlage und erlebten hunderte Hindus, dutzende Tempel und tausende Götter in dem doch noch um einges verwirrenderem Hinduismus. Nach dem Vergnügen kam die Arbeit und wir mussten in drei Läden voll mit Juwelen, Teppichen und 50 kg schweren Bronzestatuen reingehen (…also alles Dinge, die UNBEDINGT in meinen Rucksack müssen…) und mit verkrampften Lächeln für mindesten fünf Minuten so tun, als würden wir eine Tasche, einen Seidenschal oder ein Schachspiel kaufen wollen… danach taten mir die Kiefermuskeln weh. Unser lieber Rikschawfahrer fuhr uns um drei Tankgutscheine reicher bis vor die Hosteltür und wir dankten einander für die erfolgreiche (Aus)Nutzung bestehender Systeme 😀
Nach einem Tag und zwei Nächten Megacity, die aber von sehr netten und kommunikativen Menschen bewohnt zu sein scheint, saßen wir wieder im Bus nach Pondicherry und damit FRANKREICH! Aber dazu beim nächsten Mal mehr 😉
Liebste Grüße,
Julia